Volksstimme Halberstadt vom 06.07.2018
Das haben vor allem die Konzertbesucher aus Magdeburg zunächst nicht geglaubt: In der Harzer Kreisstadt spielt plötzlich ein 29-jähriger einen Klavierabend, der 2020 die Nachfolge von Zubin Meta als Chefdirigent des Israel Philharmonie Orchestra antritt.
Weshalb spielt denn plötzlich ein Dirigent ein Piano-Recital in Halberstadt? Ja zunächst, weil Lahav Shani aus Israel beides so gut beherrscht, dass er schon jetzt mit dem jungen Daniel Barenboim verglichen wird. Und wie kommt dieser junge Mann in die Provinz nach Halberstadt? Weil inzwischen viele Künstleragenten wissen, wer bereits im Kammermusikverein Halberstadt konzertiert hat, und vor allem, wer zum so. Jubiläum des Vereins 2018/2019 noch konzertieren wird. Deshalb machen die Agenturen manchmal auch dementsprechende Angebote, die noch bezahlbar sind. Es sei vorweg gesagt: Lahav Shani konnte sich den Bravos sowie den stehenden Ovationen nicht entziehen, blieb dem russischen Abend treu und spielte als Zugabe Rachmaninoffs Prelude op.3 Nr.2 in cis-Moll.
Zu Beginn aber erst einmal Skrjabins einsätzige Sonate Nr.9, in der Shani zeigte, wie er die Mystik, das Dunkle sowie das Satanische dieses Stückes interpretierte. Vor der Pause dann Prokofjews Sonate Nr. 6, die er 1940 in seiner sowjetischen Periode komponierte und in der der Komponist sicherlich mit dem 7. Sinn eines Künstlers die kommende Katastrophe ahnte.
In dieser schwer zu spielenden Sonate zeigte Shani die ganze Breite seines Könnens. Technische Schwierigkeiten schien es für ihn nicht zu geben. Wüste Ausbrüche, plötzliche sangliche Kantilenen der rechten Hand, gepaart mit dem Kontrapunkt der Linken: Lyrik und Dramatik im Walzer des 3.Satzes, rasante Tempi, unisono von Bass und Diskant; das alles ließ den Funken zum Hörer überspringen. Und das können nur die Großen.
Die Bestätigung dafür erhielten die Zuhörer in Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung.” Es war eine Lust, die einzelnen Bilder zu erkennen, und es bedurfte nicht der Ravelschen Orchester-Instrumentation, um die Zuhörer in eine russische Welt zu entführen. Warum? Weil die Bilder toll gespielt wurden.
Entsprechend war die überschäumende Reaktion des Publikums, die Shani mit großer Herzlichkeit entgegennahm. Wusste er doch, dass er am nächsten Tag im Berliner Boulez-Saal die Zuhörer mit dem gleichen Programm in seinen Bann ziehen würde.