Großartige Kunst trotz Saitenriss

Der Kammermusikverein Halberstadt feiert 2019 sein fünfzigjähriges Bestehen. Aus die­sem Anlass haben sich die Mitglieder mit einer hochkarätig besetzten Konzertreihe beschenkt. Auch bei der dritten Veranstaltung dürften die Zuhörer nicht enttäuscht worden sein. Eigentlich dachte man, der Glanz des zweiten Jubiläums­Konzertes des Kammer­musikvereins Halberstadt wäre nicht zu toppen, aber das dritte Konzert, dieses Mal in Kooperation mit dem Orchester des Nordharzer Städtebund­theaters, riss das Publi­kum förmlich von den Stühlen. Ab dem zweiten Stück ap­plaudierte das Publikum dem Cellisten István Várdai und seiner Klavierpartnerin mit standing ovations und mit Bravorufen. Und so blieb es bis zum Ende des Abends. 

 

Zum Gelingen des großartigen Musikevents trugen eben­falls Lutz Reibeholz, der das Klavier in der Pause nochmals stimmte, und Olga Bechthold als Notenwenderin für Zarina Shimanskaja bei. 

Verschiedene Komponisten mit ungleichen Werken Der Konzertabend für Violoncello und Klavier vereinigte vier verschiedenartige Komponisten mit ungleichen Wer­ken, jeweils zwei dennoch durch gewisse Bezüge miteinan­der verbunden. Zunächst erklangen zukunftsweisende Werke von zwei großen B's der Musik: Beethoven und Brahms, gefolgt von Kompositionen virtuoser Salonmusik nach der Konzertpause. 

Bereits im ersten Teil des Konzertes bildeten beide Künst­ler ein harmonisches Duo. Diese Gewähr für ein Musizieren auf höchstem Niveau war sowohl in der Wiedergabe der Beethoven'schen Sonate op. 102,2 und der Sonate für Vio­loncello und Klavier Nr. 1 op. 38 von Johannes Brahms fa­cettenreich gegeben. Das musikalisch verbindende beider Werke ist das für ihre Zeit neue Verständnis der Kompo­nisten vom Verhältnis zwischen Melodieinstrument und Klavier. In der Nachfolge von Beethoven sah auch Brahms beide Instrumente als Partner und löste das Klavier aus der Rolle des Begleitinstruments. 

Zu Beginn erklang Ludwig van Beethovens Sonate op. 102,2 die schon dem komplexen Spätwerk, mit den letzten Klaviersonaten und Streichquartetten, zuzurechnen ist. Die Interpretation dieses schwierigen, oft sperrigen Stückes war bei Shimanskaja und Vardai in sprichwörtlich besten Händen. Eindrucksvoll vor allem die Wiedergabe des alleg­ro fugato, das eine erste Vorstellung davon vermittelte, wie sich Beethovens Fugenkunst zukünftig entwickeln wür­de. Ähnlich musikalisch vorausweisendes ist in der Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 op. 38 von Johannes Brahms enthalten, mit der Komponist „Abschied von seiner Jugendzeit” nahm. Die Sonate ist nicht nur eine Auseinan­dersetzung mit der vorklassischen Fugenkunst, sondern auch mit dem Vermächtnis Beethovens. 

Eindrucksvoll, wie hier das Klavier in die motivisch-thema­tische Entwicklung eingreift. Zur Geschichte dieses Werkes von Brahms gehört auch, dass dessen zweiter Satz ver­schollen ist, worum sich viele Legenden ranken. Auch die Wiedergabe des Stückes in Halberstadt sorgte für einen kleinen Moment für Aufregung. Istvan Vardai erlebte den Albtraum aller Streicher, eine Saite riss mit lautem Knall. Mit der Souveränität eines großen Musikers zog Vardai in der Künstlergarderobe die Seite auf, stimmte erneut und setzte dann sein Spiel unter dem Beifall des Publikums fort. 

Interpreten technisch und gestalterisch meisterhaft Die Kontinuität ihre technischen und gestalterischen Meis­terschaft unterstrichen beide Interpreten im zweiten Teil des Konzerts. Sie brachten zwei überaus virtuose Stücke, die sich größter Beliebtheit erfreuen, zu Gehör. Wie die Sonate für Arpeggione und Klavier in a-Moll (D 821) von Schubert. Der Arpeggione, so die Idee seines Erfinders, des Wiener Geigenbauers Johann Georg Stauffer, sollte die leichte Spielbarkeit der Gitarre mit der Klangpracht des Cello verbinden. 

Das eigenwillige Instrument setzte sich zwar nicht durch, blieb aber dank der Schubert-Sonate unvergessen. Bei der Wiedergabe des Werkes ließ sich hohe und sensible Spiel­fähigkeit von Vardai aufs schönste nachempfinden, mit der er alle Feinheiten, alle facettenreichen Spielfiguren (Arpeg­gien) interpretierte. 

Wenn Schubert in dieser speziellen Sonate die technischen und klanglichen Möglichkeiten des Instrumentes austeste­te, so hob David Popper (1843-1913) in seiner Ungari­schen Rhapsodie, op. 68 die Brillanz des Cellos besonders hervor. Die Mischung aus „ungarischem Kolorit, zigeunerhafter Melodienseeligkeit und technisch brillanten Passagen bis in die höchsten Lagen” macht das Stück von Popper, dem „Paganini der Cellisten” zu einem Favoriten unter den virtu­osen Werken für Violoncello. Die Interpretation von Vardai lässt an einen Satz denken, den der vielfach ausgezeichne­te Cellist über sein Instrument - das berühmte „Du Pre Harrell” - Stradivari Cello aus dem Jahr 1673 - sagte: 

„Dieses Cello besitzt offenbar Zauberkräfte”. 

Mit dieser Komposition seines Landsmanns setzte Vardai einen brillanten Schlusspunkt unter das dritte Jubiläums­Konzert. Und als besondere und eher ungewöhnliche Zu­gabe, nach der musikalischen mit Schubert, dankte er auf deutsch in sehr persönlichen Worten dem Publikum, das ihn während seiner Konzerte in Halberstadt begeistert ge­feiert hatte. Nicht nur, dass ihm die Stadt gefallen habe. Er sei beeindruckt von dem kulturellen Leben in Halber­stadt und freute sich, „dabei mitwirken zu dürfen”.